26. bis 28. April 2013

Konzert- und Kongresshalle Bamberg

 

 

 

 

 

Eröffnungsvortrag

 

 

"Musikschulen in Zeiten des Wandels:
Teilhabe und Qualität"
s

Referent: Präsident des Deutschen Städtetages Christian Ude,
Oberbürgermeister der Landeshauptstadt München

 

 

Die Musikschulen sind Teil der kommunalen Daseinsvorsorge – und diesen Auftrag nehmen wir ernst. Das heißt, dass sie keine freiwillige Leistung sein dürfen, die man nach Belieben von Konjunkturlverlauf und Kassenlage abhängig machen kann. Es gab schon Regierungspräsidien in Deutschland, die Streichungen bei der Musikschule als erzwingbaren Konsolidierungsbeitrag vorgeschrieben haben. Das empfinde ich als skandalös…


Die Länder pflegen uns einzureden, dass sie für die Bildung dank der Kulturhoheit der Länder eigentlich ganz allein zuständig seien. Mit der Bildungslandschaft hätten wir, die Städte, eigentlich nichts zu tun – so lautet oft das Selbstverständnis der Landesebene.


In Wahrheit gibt es aber eine kommunale Bildungslandschaft, beginnend mit den Krippen, den Kindergärten, den Schulgebäuden, in manchen Kommunen auch dem kommunalen Schulwesen. Weiter geht es mit den kommunalen Musikschulen und Sportanlagen bis zu den Volkshochschulen.


Wir erleben derzeit, dass die Schulen nicht mehr als isolierte Staatsstellen zu verstehen sind, sondern sich öffnen sollen zum Stadtteil und für Nachmittagsangebote. Je mehr das geschieht, desto wichtiger wird der Gedanke der Vernetzung anstelle der Isolierung, die bisher das schulische Selbstverständnis oft bestimmt hat. In der kommunalen Bildungslandschaft sind die Musikschulen ein ganz wesentlicher Bestandteil. 

 

Musikschule im Wandel

 

  1. Wir leben in einer naturwissenschaftlich-technisch geprägten Umwelt. Stellt das Musik infrage? Diese Überzeugung gab es in Bildungsdebatten. Aber die These, dass man in einer naturwissenschaftlich geprägten Welt die Musik zurückdrängen dürfe, ist falsch.
     
  2. Wir leben in einer Gesellschaft, die vom ökonomischen Prinzip durchdrungen ist. Diese Ökonomisierung erfasst auch das Bildungswesen, wo plötzlich die „employability“ zum Bildungsziel ausgerufen wird. Natürlich will jeder auch eine Beschäftigung finden… Aber die Ausrichtung nur noch an der Verwertbarkeit würde alles, was Deutschland zum Bildungsbegriff beigetragen hat, zunichte machen. Bildung ist eben nicht nur Mittel zum Zweck, auf dem Arbeitsmarkt unterzukommen. Bildung muss auch etwas mit Humanität, mit Selbstentfaltung, mit der Entwicklung zum mündigen Bürger zu tun haben. Dazu gehören auch die musischen Fähigkeiten.
     
  3. Wir leben in einer Zeit der Digitalisierung. Welche Rolle spielt die Kunst im Zeitalter ihrer Reproduzierbarkeit? Ich stelle eine Frage, die ich ausgerechnet im Silicon Valley gehört habe, nämlich: Wie muss die Gesellschaft mit der Digitalisierung umgehen, um nicht ihr Opfer zu werden? Es wird behauptet, durch das Netz verliere der Ort, an dem man sich gerade aufhält, an Bedeutung. Die Rede ist von der „Entortung der Welt“. In der Realität erleben wir genau das Gegenteil: dass genau die Digitalisierung der Lebensabläufe dazu führt, dass der Wunsch nach authentischen Begegnungen am realen Ort mit lebenden Menschen immer wichtiger wird. Ich glaube, dass wir hier eine gemeinsame Aufgabe haben, den jungen Menschen klar zu machen, dass ein Leben am Bildschirm, mit Smartphone und Tablet immer ein virtuelles Leben ist. Es reicht nicht, 10.000 Melodien zu jeder Zeit in jeder Interpretation downloaden und anhören zu können. Der Zugang zur Musik muss etwas mit Aktivität zu tun haben, denn nur dann hat er auch mit Kreativität und mit Subjektivität zu tun.
     
  4. Wir erleben eine multikulturelle Entwicklung, was die Herkunft und die kulturellen Äußerungen der Menschen angeht. Zur Musikschule gehört zwingend, dass sie eine intellektuelle Öffnung fordert, Interesse weckt für andere Musikkulturen und dabei die Qualität des musikalischen Angebots hält. Cross over muss dazu kommen, aber nicht an die Stelle treten. Öffnung bedeutet nicht Verzicht auf den abendländischen Bildungskanon.
     

Es gibt durchaus gesellschaftliche Veränderungen, die den Musikschulen eine Reaktion abverlangen:
 

  1. Die Selektivität unseres Bildungssystems: Die Herkunft aus einer bestimmten Schicht sagt immer noch zu viel aus über die Bildungschancen. Darauf kann die kommunale Bildungslandschaft, können auch die Musikschulen nicht einfach achselzuckend schweigen. Wir müssen gegensteuern. So viele Bildungsverlierer können wir uns auch ökonomisch gar nicht leisten. Deswegen muss auch außerschulische musikalische Bildung sich vornehmen, die Selektivtität einzudämmen. Das muss beginnen mit sozialen Staffelungen der Gebühren, aber auch mit der gezielten Ansprache von Kindern aus bildungsfernen Milieus.
     
  2. Die Turbo-Ausbildung greift immer mehr um sich und kennt viele Erscheinungsformen. Hauptphänomen ist das 8-stufige Gymnasium, das von den Kindern erlebt wird als wachsender Leistungsdruck und als Zeitmangel. An der Schule beginnt der Zeitmangel, wenn die musischen Fächer und der Sport zu den ersten Opfern gehören und wenn die Kinder und Jugendlichen am Nachmittag gar keine Zeit mehr haben für das musische Atemholen, das es neben dem schulischen Leistungsdruck ja auch geben muss. Wir brauchen deshalb ein gesellschaftliches Bündnis, um Freiräume für die junge Generation – von der Krippe bis über das Abitur hinaus – wieder zu erkämpfen. Wenn es abendländische Tradition ist, dass die Bildung mit Musik und Sport beginnt, dann können wir doch nicht Schule so organisieren, dass Musik und Sport auf der Strecke bleiben, damit für „wichtigere“ Fächer mehr Punkte gesammelt werden können. Im Zeitverteilungskampf, der heute im Schulwesen tobt,  müssen wir musische Fächer, kreative Entfaltung und Persönlichkeitsbildung verteidigen.


 

Inklusion


Man darf Menschen mit Behinderung nicht ausschließen, sondern muss sie einbeziehen. Die Gestaltung von Lernprozessen lebt auch von der Heterogenität der beteiligten Menschen, nicht nur von der Homogenität, die früher im Bildungswesen allzu schnell angestrebt wurde.


Allerdings ist alles nicht so einfach, wie es in frohen Botschaften klingt. Diese Frage muss immer mit den Betroffenen geklärt werden und nicht durch das gerade moderne Diktat, das erst hieß: Raus an die Förderschule und jetzt: Rein in die allgemeine Schule, egal, ob wir dort die notwendige Förderung organisieren können oder nicht.


Denn eines muss uns auch klar sein: Inklusion ist gut und notwendig, aber sie muss auch tatsächlich stattfinden können – und dafür braucht es mehr als barrierefreie Treppen und Überwindung von Höhenunterschieden.


Eine „Inklusion light“, die einfach sagt: Förderschule ade, versucht jetzt euer Glück auf der allgemein bildenden Schule, wäre zu einfach. Wenn wir die Aufgabe ernst nehmen – und das wird ein langwieriger Prozess –, dann muss dabei die musikalische Entfaltungschance, die viele Behinderungen ausgleicht und von vielen Behinderungen überhaupt nicht tangiert ist, eine ganz wichtige und sogar zentrale Rolle spielen. Durch die Inklusion wird die Musikpädagogik wichtiger, und sie darf nicht aufgrund von Schwierigkeiten an den Rand gedrängt werden.

 

Zwei zentrale Aufgaben unseres Bildungswesens heißen: Integration von Menschen unabhängig von ihrer geografischen und ethnischen Herkunft und Inklusion, unabhängig von Handicaps, die sie vielleicht haben.
Bei beiden Themen hat die Musik enorme Chancen. Das ist eine Zukunftschance, die den Musikschulen einen größeren und keinesfalls einen schwindenden Stellenwert beimisst.
 

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gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
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