09.10.2013 | Musikschule Marburg e.V. Es war eine Mutter, die hatte vier KinderMusikschule Marburg veranstaltet anpsruchsvolles KammermusikprojektEin Gesprächskonzert in der Schule, zwei Auftritte in mittelalterlichen Kirchen, drei Tage Kammermusikkurs, vier Jahreszeiten und fünf Jugendliche, die ihre Violine bereits meisterlich beherrschen. In Zahlen ausgedrückt ist dies die Kurzformel des Kammermusikprojekts der Streicherklasse von Marie Verweyen. Die Violinpädagogin an der Musikschule Marburg erarbeitet mit ihren Schülerinnen und Schülern Antonio Vivaldis „vier Jahreszeiten“.
Es war eine Mutter, die hatte vier Kinder...
Die bekannten Violinkonzerte erklingen am Donnerstag, 24. Oktober um 19 Uhr in der Klosterkirche Caldern sowie am Freitag, 25. Oktober um 20 Uhr in der Marburger Kugelkirche. Zehn junge Musizierende der Kammermusikklasse von Marie Verweyen an der Musikschule Marburg interpretieren mit Virtuosität und Spielfreude die mitreißenden barocken Tongemälde.
![]() (v.l.n.r.) Lukas Dietrich, Fridolin Wissemann, Elena Rausch, Mira Wöllenstein, Frederik Wiese, Raphael Greim. Foto (privat)
Musik zum Anfassen
Projektleiterin Marie Verweyen studierte Violine an den Hochschulen Detmold, Köln und Frankfurt. Ihr Aufbaustudium Barockgeige absolvierte sie in Amsterdam und Frankfurt. Sie war Gründungsmitglied des Main-Barock-Orchesters Frankfurt und zehn Jahre Mitglied im Barockorchester Stuttgart unter Frieder Bernius. Konzerte spielte sie unter Leonard Bernstein und Sergiu Celibidache in der Orchesterakademie des Schleswig-Holstein-Musik-Festivals.
Henrike Seitz ist Cembalistin und Dozentin für historische Aufführungspraxis an der Würzburger Musikhochschule, Ina Himmelmann Cellistin und langjährige Cellolehrerin in Marburg.
Weitere Information: www.musikschule-marburg.de
Lesen Sie hier auch ein Interview mit Marie Verweyen zum Kammermusikprojekt "Die vier Jahreszeiten" ihrer Streicherklasse:
Frau Verweyen, Sie führen mit Ihrer Kammermusikklasse am 24. und 25. Oktober „Die vier Jahreszeiten“ von Antonio Vivaldi auf. Den Konzerten in der Kugelkirche hier in Marburg und der Klosterkirche in Caldern voraus geht ein dreitägiger Kammermusikkurs, in dem Sie Das Werk gründlich erarbeiten und die jugendlichen mit historischer Spielpraxis vertraut machen. Seit Jahren kann man einen Trend unter Musikprofis beobachten, sich immer differenzierter mit Stilistik und Spieltechniken verschiedener Jahrhunderte zu befassen. So verwendet beispielsweise das französische Orchester Les Siècles unter seinem Dirigenten Francois Xavier Roth sowohl historische als auch moderne Instrumente in ein und demselben Konzert und ist in verschiedensten Jahrhunderten stilsicher. Dazu braucht es entsprechend differenziert ausgebildete Musizierende. Das Bewusstsein von der Veränderlichkeit praktischen Musizierens ist auch beim Konzertpublikum angekommen. Ein Kurs mit Schwerpunkt „historische Spielpraxis“ im Rahmen musikschulischer Ausbildung anzubieten, ist ein anspruchsvolles Vorhaben. Es scheint, dass heutzutage in der Ausbildung vor der Hochschule ein neues Niveau musikpädagogischen Handelns erreicht ist. Nun haben Sie sich ein barockes „Highlight“ mit ihren Schülerinnen und Schülern vorgenommen, zu welchem mir Folgendes einfällt: Marcel Reich-Ranicki hat in einer seiner Literaturkritiken ein Bon Mot Luigi Dallapicolas über Antonio Vivaldi verwendet. Der italienische Komponist sagt darin über seinen barocken Landsmann, er habe nicht 344 Konzerte, sondern ein Konzert 344mal komponiert. Über Mick Jagger von den Rolling Stones oder Ian Anderson von Jethro Tull gibt es ähnlich lautende Äußerungen zeitgenössischer Musikkritik. Gibt es eine Verbindung zur heutigen Musikkultur?
Verweyen: Sicher gibt es einen unverkennbaren Stil Vivaldis, der sich in den Konzerten wiederfindet, dennoch wird man ihm mit diesem Urteil nicht gerecht. Die Tradition, sich nicht nur bei sich selbst zu bedienen, also eigene Werke erneut für eine andere Besetzung zu bearbeiten, und bei Kollegen "abzuschreiben" und das "Ausgeborgte" in eine eigene Tonsprache zu setzen, das war in der Barockzeit gängige Praxis. Die Komponisten ließen sich von Vorlagen der Kollegen zu neuen Werken inspirieren, auch das Wiederverwerten eigener Ideen, zum Beispiel in Bearbeitungen für andere Besetzungen war gang und gebe. Das künstlerische Selbstverständnis der Komponisten war sehr viel pragmatischer als in der Romantik, in der sich der Geniegedanke und die Idee von der Schaffung eines zeitlosen, individuellen Kunstwerkes verbreiteten. Vivaldi ist nicht der einzige Komponist, der als Vielschreiber tituliert wurde. Ebenso wie Telemann, mit dem er sich diesen fragwürdigen Titel teilen darf, hat Vivaldi es auf hervorragende Weise verstanden, mit seinen Kompositionen auf die unterschiedlichsten Bedürfnisse und Wünsche seiner Adressaten einzugehen. Und tatsächlich ist die heutige Musikpraxis nicht so weit von der barocken Haltung entfernt. Von jedem bekannten Pop-Song gibt es etliche Cover-Versionen, die zum Teil bekannter als das Original sind.
Was verbindet uns mit Vivaldis Musik derart, dass wir sie immer wieder gerne hören?
Verweyen: Vivaldis Musik lebt von Farben, von Klangfarben und Affekten, die sie auszudrücken vermag. Diese Qualität spricht uns auch heute noch sehr an. Manchmal meinen wir, den Ablauf vorhersehen zu können, doch dann kommt eine kleine unerwartete harmonische Wendung oder ein Ausweiten des Taktschemas, und genau diese kleinen Überraschungen zwingen uns zum Hinhören, machen es spannend. Vivaldis Musik schafft es, in uns sehr unterschiedliche Emotionen zu wecken. Nicht umsonst werden etliche Warteschleifen bei Telefonen mit seiner Musik bespielt. Dabei ertönt gerne der erste Satz aus dem Frühling, strahlendes E-Dur, was für Freude steht, Geigen in Terzen, Eindruck des Einfachen, Harmonischen, oder aber der erste Satz aus dem Herbst, F- Dur, pastoraler Charakter, verströmt Ruhe, auch hier die Geigen in Terzen geführt, was den Eindruck der Harmonie verstärkt.
Wenn man bei einem großen Internet-Kaufhaus in die Suchmaske „Vivaldi die vier Jahreszeiten“ eingibt, ergibt die Suche 588 Ergebnisse (Stand 6. Oktober 2013). Eine erdrückende Anzahl von Einspielungen, mit denen sich Musizierende konfrontiert sehen. Ist das ein Fluch oder ein Segen?
Verweyen: Mit unserem Projekt, hier an der Marburger Musikschule, die Vier Jahreszeiten zu realisieren, erheben wir nicht den Anspruch uns in die Riege der unzähligen Aufnahmen einzureihen, das vorneweg. Sicher ist es sehr interessant, sich unterschiedliche Aufnahmen aus verschiedenen Zeiten, anzuhören. Sehr gut lässt sich da der Einfluss der historischen Aufführungspraxis an den jüngeren Einspielungen ablesen. Und dann kann es tatsächlich passieren, dass ausgerechnet in der 588sten Einspielung etwas Neues gewagt wird. So handhaben die jüngeren Ensembles die Continuobesetzung freier, es tauchen neben dem üblichen Cembali Lauten, Barockgitarren und Harfen auf. Aber letztlich ist jeder Interpret gefordert, mit der Musik eine eigene Geschichte zu erzählen. Und das werden wir sicher auch versuchen.
Das Interview mit Marie Verweyen führte Eugen Anderer.
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