Musikschulkongress '03

 

Musikschule - mit Vergnügen! Das Unterhaltende in der Musik

 

Eröffnung

 

 

 

 

 

 

Grußwort der Vorsitzenden des Ausschusses für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages, Monika Griefahn, zur Eröffnung des Musikschulkongresses '03 in Hannover

 

Sehr geehrter Herr Dr. Eicker, sehr geehrter Herr Weber,

sehr geehrter Herr Mehlig,
sehr geehrte Damen und Herren,

 

ich bin der Bitte, zur Eröffnung des diesjährigen Kongresses des Verbandes deutscher Musikschulen ein Grußwort voranzustellen, mit großer Freude und auch aus Überzeugung nachgekommen.

 

Ich bin davon überzeugt, dass die musikalische Bildung wesentlich zur notwenigen Orientierung in einer globalisierten und visualisierten Welt beiträgt und ein unentbehrliches Element beim Erwerb und bei der Ausbildung kognitiver Fähigkeiten darstellt. Die Musikschulen sind ein unverzichtbarer Bestandteil unseres kulturellen Lebens.

 

Ich möchte diesen Gedanken als Kultur- und Medienpolitikerin gleich etwas näher erläutern.

 

Doch zuvor lassen Sie mich noch an dieser Stelle Ihnen, dem Verband deutscher Musikschulen und allen Musikerzieherinnen und Musikerziehern in Schulen und Musikschulen ausdrücklich und herzlich danken für Ihre wichtige und unverzichtbare Arbeit, die Sie bisher geleistet haben und noch weiter leisten werden.

 

Als gelernte Mathematikerin weiß ich, wovon ich spreche, wenn ich in der musikalischen Bildung das notwendige Komplement zur kognitiven Bildung, die durch Sie vermittelt wird, sehe. Und der VdM hat völlig zu Recht anlässlich seines 50-jährigen Gründungsjubiläums im vergangenen Jahr unterstrichen, dass er mit zukunftsweisenden Konzepten stets ein engagierter Motor aktueller Musikschularbeit ist.

 

Auf dem heutigen Kongress stellen Sie konzeptionell das Unterhaltsame und Vergnügliche in der Musik heraus und knüpfen damit an die Grundlage erfolgreicher Pädagogik und Didaktik an: nämlich an die Motivation, ohne die eine freie Persönlichkeitserziehung nicht möglich ist.

 

Musikerziehung und Persönlichkeitserziehung: das Eine bedingt das Andere. Aktuelle Studien belegen den wesentlichen Einfluss von erweiterter Musikerziehung auf die allgemeine und individuelle Entwicklung von Kindern, auf die herausragende Bedeutung für die Entwicklung sozialer Kompetenz, für die humane Dimension des Zusammenlebens und für das Interesse an geistigen und kulturellen Dingen.

 

Ich halte Musikerziehung für die ästhetische Bildung für wesentlich, und die ästhetische Bildung für gleichbedeutend mit der pädagogischen Hinführung zu einem ästhetischen Urteilsvermögen, das wiederum auch Grundlage für eine kritische Medienerziehung ist.

 

Der angemessene und - um Ihr heutiges Motto noch einmal anzusprechen - vergnügliche Umgang mit Kultur und mit Medien erhält nach meiner Überzeugung in der Musikerziehung eine unverzichtbare Grundlage.

 

Der frühere Kulturstaatsminister Nida-Rümelin erklärte in seinem Eröffnungsvortrag beim 18. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft im vergangenen Jahr, wie ich finde zutreffend:

 

"Von besonderer Bedeutung ist der Bereich der ästhetischen Bildung. Mit Ästhetik meine ich nicht nur das Schöne im modernen Sinn, sondern den ursprünglichen Wortsinn der "Aisthesis", die Dimension unseres Lebens also, in der wir Bezug nehmen auf Dinge, die uns durch Empfindungen und Wahrnehmungen zugänglich sind. Die kognitive Schlagseite unseres Bildungswesens drängt die musische Bildung an den Rand. (...) Es muss uns darum gehen, eine Balance herzustellen zwischen Sinnlichkeit und der Fähigkeit, Gründe abzuwägen und Urteile zu fällen."

 

Kulturelle Bildung, und insbesondere kulturelle Bildung im Medienzeitalter, das heißt für mich stets und insbesonders auch Musikerziehung. Sie bedeutet Bildung über, durch und zu Kultur.

 

Sie beinhaltet, wie das Gutachten "Kulturelle Bildung im Medienzeitalter" von Prof. Pazzini, das im Auftrag des BMBF zur inhaltlichen Konkretisierung des Programms "Kulturelle Bildung im Medienzeitalter" der Bund-Länder-Kommission erarbeitet wurde, feststellt, Möglichkeiten und Ressourcen, die in den Wissenschaften, insbesondere in den Naturwissenschaften und in der Mathematik nicht oder nur in geringem Maße zur Verfügung stehen.

 

Und kulturelle Bildung, mithin also wesentlich auch musikalische Bildung, ist nichts Luxurierendes, sondern, in ökonomischen Begriffen, eine Ressource ersten Ranges. Sie vermittelt Schlüsselqualifikationen für eine gelingende Lebensführung und unter den Bedingungen der gesellschaftlichen Modernisierung. Ich nannte am Anfang "Globalisierung" und "Virtualisierung", wird sie auch als Sinn- und Orientierungsangebot immer wichtiger.

 

Unsere Bildungspraxis darf sich also nicht nur an den Erfordernissen der Sozial- und Wirtschaftspolitik orientieren, sondern sie muss die grundlegende Dimension von Kultur aufgreifen.

 

Ich möchte in diesem Zusammenhang noch eine weiter Studie ansprechen, nämlich die bekannte "Berlin-Studie" von Prof. Bastian.

 

Sie fand zwischen 1992 und 1998 an Berliner Grundschulen mit musikbetonten Zügen (zweistündiger Musikunterricht, Erlernen eines Instruments, Musizieren in Ensembles9 und an zwei Vergleichsschulen mit konventionellem einstündigem Musikunterricht statt.

 

Wesentliche Ergebnisse daraus sind:

 

  • Soziale Kompetenz und soziale Reflexionsfähigkeit werden nachhaltig durch Musikerziehung verbessert, in musikbetonten Grundschulen ist die Zahl von völlig ausgegrenzten Schülern nachweislich geringer. Umgekehrt ist der Anteil der Schüler, die keine einzige Ablehnung von ihren Klassenkameraden erhalten, im allgemeinen doppelt so hoch wie an konventionellen Schulen.
  • Mehrjährige Musikerziehung führt nachweisbar bei Kindern aus musikbetonten Grundschulen zu einem signifikanten IQ-Zugewinn. Sozial benachteiligte und in ihrer kognitiven Entwicklung wenig geförderte Kinder profitieren dabei von einer erweiterten Musikerziehung.
  • Verstärkte Musikerziehung hilft vor allem Kindern mit Konzentrationsdefiziten: Kreativität und Leistungsvermögen steigen bei Kindern aus musikbetonten Grundschulen entscheidend. Musizieren fördert konzentrationsschwache Kinder, deren IQ mit zunehmender Musikalität häufig ansteigt.
  • Musizieren unterstütz nachweislich die Entwicklung von Gemeinschaftsgefühl, Konfliktabbau, Kooperationsbereitschaft und Toleranz.
  • Gemeinsames Musizieren ermöglicht es, Bildung und Kultur unmittelbar selbst zu erleben und ein persönliches Verhältnis zu dem Zusammenhang von Technik, Kunst und Kultur herzustellen.

Musikerziehung in Schulen und Musikschulen muss also, so lautet mein Fazit, integraler Bestandteil in jeder Konzeption umfassender Bildung sein. Denn, wer Musik macht, kommt auch weniger auf destruktive Gedanken. Wie schon unser Innenminister Schily sagte: Wer Musikschulen schließt, gefährdet die innere Sicherheit!

 

Und ich möchte aus meiner Sicht noch 4 Thesen zum Stellenwert des Musikunterrichts und der Musikerziehung hinzufügen:

 

  • Im Interesse einer effektiven Bildungsreform und vor dem Hintergrund der PISA-Ergebnisse ist es notwenig, eine breite Basis von Kunst- und Musikausbildung in Deutschland aufzubauen.
  • Besonderes Interesse sollte einer allgemeinen musikinstrumentalen Ausbildung gelten, sowohl im Rahmen der frühkindlichen Erziehung als auch in der weiterführenden Bildungsentwicklung.
  • Der Stellenwert des Musikunterrichts und der Musikerziehung sollte darin nachhaltig aufgewertet werden.
  • In Bezug auf die Bedeutung des Musikunterrichts und von Musikerziehung im Allgemeinen gilt es gesamtgesellschaftlich umzudenken und beides als wesentliche Faktoren der Schul- und Persönlichkeitsbildung herauszustellen. (...)"

Nach diesen Anmerkungen möchte ich abschließend mit einem "eher ernsten" Zitat noch einmal an das Motto dieses Kongresses "Musikschulen - mit Vergnügen! Das Unterhaltende in der Musik" anknüpfen.

 

Dass Musik Freude machen kann ist ja ein ganz wesentlicher Aspekt. Und es ist deshalb eine ganz wichtige Aufgabe der Musikerziehung und des Musikunterrichts, Freud an der Musik zu vermitteln.

 

Freude, Vergnügen, zum Lachen gesteigert, haben eine so große Bedeutung für den Menschen, dass sich neben der Philosophie auch die Medizin bereits früh mit diesem Aspekt befasst hat.

 

Das Zitat stammt nun von dem Utrechter Arzt Hendrik de Roy. De Roy wurde 1598 geboren. Er war Schüler Descartes und in seinem bedeutendsten Werk "De Animi Affectibus", das grundlegend für die Barockmedizin war, erklärte er "zeitgemäß aktuell" die Wirkungen von Vergnügen und Freude auf den Organismus:

 

Vergnügen ist der Affekt, der den Geist aufgrund einer angenehmen Bewegung der animalischen Geister mit Heiterkeit, Freude durchströmt. Die Natur hat ihn uns gegeben, damit wir mit größerer Sorgfalt arbeiten. (...) In diesem Affekt der Freude, des Vergnügens werden die Geister oft so bestimmt, dass sie in die Muskeln des Antlitzes und der Brust strömen und diese Teile so zusammenziehen, dass daraus Lachen und Kichern manchmal in einer Stärke entstehen, dass die Tränenporen der Augen sich durch gewaltige Bewegung derart öffnen, dass reichlich Freundtränen aus den Augen fließen."

 

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen für die nächsten 3 Tage einen vergnüglichen und erfolgreichen Kongress.

 

 

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